Informationsstelle
für verheiratete
Männer und Frauen

Die Familie und ihre Zerstörer

Was schief läuft und was anders werden muss – Eine überfällige Debatte

Informationsstelle
für verheiratete
Männer und Frauen

2.4.8. Die Betreuungsfiktion

Die Gerichte haben das Unter­halts­maximierungs­prinzip inzwischen derart auf die Spitze getrieben, dass sie neben der Einkommensfiktion einfach eine neue Fiktion erfindet: Die Betreuungsfiktion.

„Einer Exehefrau ist auch Betreuungs­unterhalt dafür zu zahlen, dass sie die Kinder nicht betreut.“

Die althergebrachte Legitimierung des Unterhalts sieht eine Verteilung der Pflichten Geschiedener so vor, dass der Vater berufstätig ist und Barunterhalt leistet, während die Mutter zu Hause bleibt und ihr Anteil in der Betreuung der Kinder besteht.
Anhand aktueller Gerichts­urteile wird gezeigt, dass der Mann seiner Exfrau auch dann Betreuungs­unterhalt zu zahlen hat, wenn sie die Kinder gar nicht selbst betreut. Und dem Mann werden nicht selten die Fremd­betreuungs­kosten des Kindes noch zusätzlich aufgebürdet. Ein Exmann wird nicht nur in seiner traditionellen Rolle als Ernährer festgehalten, sondern die Exfrau wird ihrerseits noch von ihrer Betreuungs­leistung entlastet, für die der wirtschaftliche Leistungs­träger noch zusätzlich zur Kasse gebeten wird.
Die Unterhalts­recht­sprechung entwickelt sich in einer Weise, die jede rational nachvoll­ziehbare Basis weit hinter sich lässt.


Beispiel 1: Kindergartenkosten als Mehrbedarf
Der Regelfall im deutschen Unterhalts­recht besteht darin, dass die Frau die Kinder betreut und dafür vom Exmann Betreuungs­unter­halt bekommt.
Der BGH hat 2008 seine Haltung geändert, jetzt müssen unterhalts­pflichtige Elternteile sich auch an den Kosten für Kinder­tages­stätten und Kindergarten beteiligen. Zahlreiche allein­erziehende Mütter mit kleinen Kindern können mit erheblich höheren Unter­halts­zahlungen rechnen.

Im konkreten Fall muss sich ein gut verdienender Vater an den monatlichen Kosten von 298 Euro für eine Kinder­tages­stätte in der Schweiz beteiligen. Er und die Mutter lebten in Berlin in einer nicht­ehelichen Lebens­gemein­schaft zusammen, als das Kind geboren wurde. Nach der Trennung zahlte er Kindes­unterhalt nach der höchsten Einkommens­gruppe der „Berliner Tabelle“, die bei kleiner Kinderzeit monatlich etwa 450 Euro vorsieht.

Der BGH-Familiensenat hatte noch im März 2008 die bisherige Recht­sprechung bestätigt, wonach die Kosten von durch­schnittlich 50 Euro für einen halbtägigen Kinder­garten­besuch durch die Beträge der „Düssel­dorfer Tabelle“ abgedeckt seien. Danach liegt der Unterhalt für Kinder bis zu fünf Jahren je nach dem Einkommen des Vaters zwischen 280 und 450 Euro. Davon wird normal die Hälfte des Kindergeldes abgezogen.

Mittlerweile korrigierte der BGH ausdrücklich seine Auffassung, ohne die Öffentlichkeit darauf aufmerksam zu machen. Der neue BGH-Leitsatz lautet: „Kinder­garten­beiträge beziehungsweise vergleichbare Aufwendungen für die Betreuung eines Kindes in einer kinder­gerechten Einrichtung sind in den Unterhalts­beträgen, die in den Unterhalts­tabellen ausgewiesen sind […] nicht enthalten.“

Der BGH berief sich auf die gesetzliche Änderung des Unterhalts­rechts vom Dezember 2007. Danach gehöre der Anteil für den Kindergarten nicht zum Existenz­minimum, sondern stelle einen „Mehrbedarf“ dar. Dafür müssten beide Elternteile nach ihrem Einkommen anteilig aufkommen. (Az: XII ZR 65/07)[1]

  1. Ein sieben bzw. acht Jahre altes Kind benötigt altersbedingt noch eine weitgehend lückenlose Betreuung und Beaufsichtigung und kann deshalb nicht für Zeiträume von einer bis mehreren Stunden unbeaufsichtigt bleiben. Selbst bei der Möglichkeit einer Fremd­betreuung im Hort in der Zeit zwischen 8 und 16 Uhr kann deshalb von der betreuenden Mutter regelmäßig keine vollschichtige Erwerbstätigkeit erwartet werden.
  2. Eine Herabsetzung oder zeitliche Begrenzung des Unter­halts­anspruchs wegen Betreuung eines Kindes kommt dann nicht in Betracht, wenn gegenwärtig keine zuverlässige Prognose über den Wegfall der mit der Betreuung verbundenen ehebedingten Nachteile möglich ist.[2]

Der Femokratie-Blog nimmt zu den Urteilen XII ZR 150/05 vom 05.03.2008 XII und ZR 65/07 vom 26.11.2008, sowie OLG Zweibrücken 2 UF 99/08 vom 03.09.2008 wie folgt Stellung:

Die deutsche Familien­recht­sprechung zu verstehen ist für Laien fast unmöglich. Klar erkennbar ist aber, dass von solchen Urteilen Mütter alleine profitieren. Wenn jetzt auch noch die Kosten für Kindergarten von Vätern übernommen werden müssen, dann dürften Müttern wohl grenzenlos zufrieden sein.
Mit den genannten Urteilen sollen vor allen Dingen Männer aus der Mittelschicht bluten. Für Väter mit wenig Einkommen sind diese Urteile nicht relevant, weil sie die Unterhalts­anforderungen nicht erbringen können und Mangelfälle werden. Sicher ist das allerdings auch nicht, da Richter gerne mit fiktiven Einkünften argumentieren und Väter auch zu mehr(eren) Jobs verpflichten können.
In der Familien­recht­sprechung ist zu beobachten, dass in den letzten Jahren der Kindes­unterhalt überproportional zu den Einkommen gestiegen ist. Während früher dem Mehrbedarf enge Grenzen gesetzt waren und nur außergewöhnliche, unvorhersehbare Belastungen von Vätern getragen werden mussten, scheint es diese Grenzen nicht mehr zu geben.
[3]

Ein Kindesvater darf also seiner Exfrau Betreuungs­unterhalt zahlen, obwohl sie das Kind gar nicht selbst betreut, sondern in den Kindergarten schickt. Dafür darf er sich zusätzlich an den Fremd­betreuungs­kosten beteiligen.

Beispiel 2: Betreuungs­unterhalt für Studentinnen mit unehelichem Kind
Eine Studentin studiert mal dies, mal das, fängt vieles an und bringt nichts zu Ende. Dann wird sie schwanger. BAföG-Zahlungen verschweigt sie ebenso wie ihre Einkünfte aus der Jobberei nebenher. So erhält sie Betreuungs­unterhalt in Höhe von 570 EUR pro Monat, Kindes­unterhalt erhält sie obendrauf und das Kindergeld ebenfalls. Sie studiert weiter vor sich hin und als das Kind drei Jahre alt ist, will sie weiter kassieren. Das Gericht spricht ihr Betreuungs­unterhalt zu, obwohl sie aufgrund der guten Betreuungssituation des Kindes auch mehr arbeiten könnte. Das Kind ist ganztags in einer Kindertagesstätte, dort ist Betreuung bis 17:30 Uhr möglich. Das Verschweigen ihrer Einkünfte und der damit verbundene Betrug führt weder zur Verwirkung ihrer Ansprüche noch wird von ihr eine Eigen­verantwortung verlangt, etwa die erfolglose Studiererei endlich aufzugeben und sich stattdessen eine Erwerbsarbeit zu suchen. Der Vater hat jetzt 407 EUR Betreuungs­unterhalt pro Monat zu bezahlen und lernt daraus:

  • Die „Ausnahme“ Unterhalt wurde von den Gerichten schrittweise zum „Normalfall“ gemacht.
  • Ausnahmetatbestände werden so lange verdreht und erweitert, bis sie in Normalfälle transmutieren. Die Begründungen dafür sind ganz kurz und pauschal, während Begründungen gegen Unter­halts­zahlungen ausgreifend, detailliert und scharf sein müssen, um berücksichtigt zu werden.
  • De facto ist eine Beweislast­umkehr eingetreten.
  • Unter­halts­berechtigte dürfen den Unter­halts­pflichtigen nach Herzenslust lügen, betrügen und nebenher kassieren. Das bleibt generell straf- und sanktionslos. Eine Einladung erster Klasse für jeden Betrugsversuch.
  • Generell reicht ein Einzelpunkt aus, um Unterhalt zu erhalten. Die Unter­halts­berechtigte bekommt unzählige Leitern, es reicht wenn eine lang genug ist, um über das Mäuerchen zu kommen.
  • Unterhalt ist immer deutlich höher wie der Lebensbedarf oder das, was der Staat geben würde: BAFÖG wären 640 EUR gewesen, Unterhalt sind 770 EUR (plus ca. 250 EUR Kindes­unterhalt plus 184 EUR Kindergeld).

Tenor des Gerichtes: Es „müsse berücksichtigt werden, dass der Mutter durch die Geburt ihres Kindes Probleme erwachsen seien. Diese resultierten daraus, dass sie mitten im Studium schwanger geworden sei. Ein Abbruch des Studiums sei nicht zumutbar, insbesondere komme ein erfolgreicher Abschluss auch dem gemeinsamen Kind zugute. Unter Berücksichtigung aller Umstände sei hier eine Verlängerung des Unter­halts­anspruchs über die Drei-Jahresfrist hinaus gerechtfertigt.“ Der Mann hat also der Frau Probleme bereitet und muss „dafür geradestehen“. Die Frau ist für die Probleme natürlich nicht verantwortlich, muss deshalb auch nicht dafür gerade stehen und darf weiter machen wie bisher.[4][5]

Beispiel 3: Betreuungs­unterhalt auch bei vollzeitbetreuten Kindern
Der Bundes­gerichts­hof urteilte am 17. Juli 2008: „Selbst wenn ein Kind im Kindergarten volltags betreut wird, führt dies nämlich noch nicht notwendig zu einer vollschichtigen Erwerbspflicht des betreuenden Elternteils.“ [6]
Die höchstrichterliche Recht­sprechung erwartet somit de facto, dass Exmänner Betreuungs­unterhalt für ihre Exfrauen zahlen, obwohl das gemeinsame Kind gar nicht von der Mutter, sondern fremdbetreut wird. Dazu kann nach einem anderen Richter­spruch die Betreuungs­kosten als „Mehr- und Sonder­bedarf“ vom Vater kassiert werden. Viele allein­erziehende Mütter mit kleinen Kindern können so mit erheblich höheren Unter­halts­zahlungen rechnen. Eine Kölner Anwältin jubelt: „Davon profitieren am meisten die Kinder und die berufstätigen Betreuenden.“ [7] Unschwer ist zu erkennen, dass Väter geschröpft und die HelferInnen­industrie gemästet wird.

Beispiel 4: Unter­halts­pflicht auch für ein im Ausland lebendes Kind
Ein Kind macht einen ausgedehnten Auslands­auf­enthalt von zehn Monaten in den USA. Der Vater möchte für diese Zeit nicht weiterhin allein den vollen Unterhalt aufbringen, schließlich lebt das Kind ja nicht mehr bei der Mutter. Die Mutter informiert den Vater nicht darüber, der Vater ist offenbar nicht in Entscheidung zum Auslands­auf­enthalt einbezogen. Während des Auslands­auf­enthalts wird das Kind volljährig.
Der Vater zahlt für drei Kinder rund 1500,– Euro Kindes­unterhalt. Zusätzlich bezahlt er Ehe­gatten­unterhalt. Das Ansinnen des Vaters, die Unter­halts­pflicht, wird vom OLG Köln abgelehnt mit folgender Begründung: Der Kindesvater bliebe weiter bar­unterhalts­pflichtig, während die Kindesmutter weiterhin ihre Unterhalts­leistung durch Pflege und Betreuung erbringe. Durch den Auslands­auf­enthalt sei die Frage der Betreuung nicht entfallen. „Vielmehr ist die Kindesmutter gehalten, auch aus der Ferne die Pflege und insbesondere Erziehung des Sohnes weiter auszuführen. Zu berücksichtigen ist insoweit insbesondere, dass bei älteren Kindern wie dem Kläger die eigentliche Betreuungsleistung ohnehin in den Hintergrund tritt. Gleichwohl ist die Kindesmutter gehalten, als betreuender Elternteil sich mit den Problemen zu befassen, die sich alltäglich stellen können.“
Der Wohnbedarf sei weiter vorzuhalten, laufende Kosten würden weiter anfallen, sie wären sogar höher, z. B. durch höheres Taschengeld. Auch eine konkrete Bedarfsbemessung lehnen die Richter rundweg ab.
Die eingetretene Volljährigkeit ändert auch nichts: „Auch ab Volljährigkeit schuldet der Kläger dem Beklagten den titulierten Unterhalt. Die Mutter des Beklagten verfügt über ein Erwerbs­einkommen, das unter dem Mindest­selbst­behalt liegt. Lediglich unter Hinzurechnung des vom Kläger geschuldeten Ehe­gatten­unterhaltes wäre sie in geringem Umfange leistungs­fähig. (…) so dass es letztendlich bei der vollen Bar­unterhalts­pflicht des Klägers verbleibt.“ [8]

Die Betreuungsfiktion bringt der Unter­halts­berechtigten sehr viel Unterhaltsbargeld. Dafür attestieren die Richter einer Mutter schon mal eine dem fetten Barunterhalt gleichstehende Leistung durch Pflege und Erziehung über 8000 km hinweg bis auf einen anderen Erdteil. Nicht einmal die Volljährigkeit ändert etwas daran, die gesteigerte Erwerbs­obliegenheit der Mutter wird mit keinem Wort auch nur erwähnt.

Das ganze Ausmaß des verrotteten und korrumpierten Unterhalts(un)rechts wird deutlich, wenn dieselben Argumente für die andere Seite angewendet werden. Dort gelten sie jedoch, wie erwartet, nichts. Das Unter­halts­maximierungs­prinzip kennt ausschließlich barunterhaltserhöhende oder -konservierende Faktoren.

Dabei müssen auch Umgangsväter, obwohl das Kind bei ihnen nicht dauerhaft bei ihnen lebt, Wohnraum vorhalten. Sie erziehen aus der Ferne ebenso mit und laufende Kosten fallen sowohl für den Aufenthalte des Kindes als auch für Fahrtkosten an. Die werden jedoch nirgends angerechnet, weder pauschal noch konkret.[9]



[1] Urteil des BGH – Alleinerziehende gestärkt, Süddeutsche Zeitung am 12. Mai 2009;
BGH bejaht Zusatzbetrag: Höherer Unterhalt für Kinderbetreuung, Tagesschau am 12. Mai 2009
[2] OLG Zweibrücken, Urteil vom 03.09.2008 – 2 UF 99/08
[3] Femokratie-Blog: BGH urteilt – Kindergartenkosten sind Mehrbedarf
[4] OLG Nürnberg 10 UF 360/09, Urteil vom 13. August 2009
Anspruch einer Studentin auf Betreuungs­unterhalt gemäß § 1615l BGB
10 UF 360/09 – Unterhalt bei Studium mit unehelichem Kind
[5] TrennungsFAQ-Forum: Betreuungs­unterhalt für Studenten extralang
[6] Bundes­gerichts­hof: Urteil vom 16. Juli 2008 – XII ZR 109/05
[7] Kinderbetreuung: Allein­erziehende können mehr Unterhalt verlangen, Welt am 18. Mai 2009;
Bundes­gerichts­hof: Urteil vom 3. März 2009 – BSozG B 4 AS 50/07 R;
TrennungsFAQ-Forum: Neue Unter­halts­leit­linien 1.7.2010 des OLG FFM, neue Selbstbehalte;
Femokratie-Blog: Hälftiger Mehrbedarf für Allein­erziehende bei Abwechslung in der Betreuung
[8] OLG Köln, Urteil vom 15. Juni 2010, Aktenzeichen 4 UF 16/10
[9] TrennungsFAQ-Forum: Voller Kindes­unterhalt trotz Auslands­auf­enthalt des Kindes